Donnerstag, 11. April 2013

Kompass Ohne Norden

Prinz Pi meldet sich nach zwei Jahren mit einem neuen Longplayer zurück.


Eyo, der Rapper mit Lötkolben ist back! Zwei Jahre nach Rebell Ohne Grund meldet sich Prinz Pi mit der sowohl musikalisch als auch thematisch logischen Nachfolgeveröffentlichtung Kompass Ohne Norden zurück.
Wahrscheinlich nicht nur zubehörstechnisch  - der Sammlerbox liegt ein 160 Seiten starkes Buch bei - sein bisher aufwendigstes Album.


Man kann noch so viel Aufwand in eine Sache stecken, Fehler passieren immer wieder. Und so ist aus dem eigentlich in blau geplanten Leinenschuber mit Stanzdruck ein schwarzer Pappschuber mit Standarddruck geworden. Und auf Nachfrage bei Pi, was denn mit der Liedreihenfolge los sei, verwies eben jener auf den Abgabestress und dass er das eigentlich gar nicht schlimm findet.
Nö, mich stört es auch nicht, dass Lied #11 und #12 auf der CD vertauscht sind. Was soll's. Gut sind sie trotzdem.
So war die Trackliste eigentlich geplant:


Trackliste
1) Fähnchen im Wind
2) Moderne Zeiten
3) Kompass ohne Norden
4) Frühstücksclub der Toten Dichter
5) 100X (feat. Casper)
6) Glück
7) Säulen der Gesellschaft
8) Rost
9) Ende Blut, Alles Blut
10) Schwarze Wolke
11) Asoziale Kontakte
12) Die letzte Ex
13) Unser Platz
Bonus
14) Schiefe Pyramiden
15) Dumm

Die Gesamtlänge mit Bonustracks beträgt ziemlich genau eine Stunde. Außerdem liegt meiner Premium Edition eine DVD mit Live-Version alter und neuer Lieder sowie einige Interviewparts bei. Diese werde ich bei meiner Review allerdings nicht berücksichtigen und eventuell zu einem späteren Zeitpunkt noch bewerten.
Zunächst erstmal zum Gesamteindruck. Der Schuber sieht trotz der Fehlproduktion sehr edel aus, besonders das Schwarz gefällt gut. Beim Öffnen der Hülle fällt direkt eine Ähnlichkeit zu Rebell Ohne Grund auf; es handelt sich um diese wunderschönen CDs, die wie eine Vinylplatte aussehen. Komplett schwarz und mit Profil auf der Oberseite. Fast zu schön, um sie im Schlund des Laufwerks verschwinden zu lassen. Aber was muss, das muss.


Das Feuerwerk beginnt. Und wenn ich Feuerwerk sage, dann meine ich Feuerwerk. Noch bevor der erste Track startet hört man einige Raketen explodieren. Sanft gleitet das Instrumental von Fähnchen im Wind durch den Raum. Für einen Hip Hop-Beat ein unheimlich musikalisches Instrumental, aber damit war zu rechnen. Ein Lied über das Warten auf den großen Punkt, an dem das 'echte' Leben beginnt. Der kommt aber nicht.
Es beginnt bestimmt, nach dem Sprung vom Dreier
dem ersten Wu Tang Sontgtext runterleiern
dem ersten Mal was klauen, dem ersten Kuss mit Zunge
der ersten Schlägerei, dem ersten Zug auf Lunge

Der Beat passt. Er steigert sich, sehnt sich nach dem Punkt. Dem Punkt, von dem der Prinz rappt. Im Instrumental kommt er, der Break. Schmetternde Drums ersetzen den warmen Pianosound, aber auch danach warten nur Fragen - keine Antwort. Super Intro.

Nach dem Intro breitet sich eine Themenvielfalt aus, die für Prinz Pi Alben typisch ist,. Und immer wieder verblüfft seine Textfertigkeit, seine lyrischen Skills suchen in Deutschland seinesgleichen. Er ist der Singer/Songwriter im deutschen Rap. Texte wie Gedichte, das Spex Magazin erkannte, dass Pi „zu den wenigen deutschen Rappern [gehört], die Zeilen produzieren, die geschrieben manchmal noch schöner werden, als gesprochen.“ Würde ich anfangen, alle nennenswerten Zeilen zu zitieren könnte ich einen eigenen Blogeintrag dafür starten. Alleine Moderne Zeiten bietet durch die sachliche Bestandsaufnahme des Zustandes einer Gesellschaft einen ganzen Schwall an zitierbaren Aussagen für Gesellschaftskritiker.


Und dieser Beat am Ende, wenn 100X - auf dem in der Albumversion mit Casper (endlich wieder ein Pi-Casper-Track) das einzige Feature zu finden ist - in die Werbung für die Albumversionen übergeht, ist gleichzeitig das prägnanteste Instrumental des Albums. Kompass ohne Norden überzeugt von Beginn an vor allem auf musikalischer Seite und bezeugt die Storytellerfähigkeiten eines Rappers, der in der Hinsicht durch Tracks wie Der Regenmacher oder Drei Kreuze für Deutschland nichts mehr beweisen muss. Er liefert den eingängigen Soundtrack für die Generation der Endzwanziger/Anfangdreißiger. Und hab ich eigentlich schon das Instrumental erwähnt?


Mit Track 4 folgt sogleich auch ein Track in den sich vor allem Schüler oder jeder, der sich noch an seine Schulzeit erinnert, hineinversetzen kann. Spitzfindig werden Rollenbilder bezeichnet, Rollenbilder, die jeder kennt und in die sich jeder an der ein oder anderen Stelle hineinversetzen kann. Frühstücksclub der toten Dichter als Hommage an Filme wie Breakfast Club und Club der toten Dichter. Ein Blick über den Tellerrand der festgefahrenen Rolleneinteilung in der Schulzeit, ein Bild - gemalt mit einigem Abstand. Apropos Bild. Das Booklet zieren wunderschöne, ganz simpel gehaltene Bilder, um die Texte wortwörtlich zu untermalen. Aber das kennt man ja schon von älteren Alben des studierten Grafikdesigners. Die Booklets sind einfach immer ein kleines Highlight.


Warum zur Hölle braucht ein Mensch, der in früheren Tagen drei Alben in einem halben Jahr releaset hat, nur zwei Jahre für einen Nachfolger zu Rebell Ohne Grund? Ganz einfach, weil dieser Mensch einen musikalischen Anspruch an sein Album gestellt hat, den es leider in der Rapublik nicht häufig zu finden gibt.
Der Pressetext beschreibt den Sound treffend irgendwo zwischen Beatles-Akkorden und dem Rohen des Wu Tang Clans. Was macht man, wenn man ein Album produzieren will, das so klingen soll wie die großen Alben der Idole seiner Kindheit, aber nicht das passende Equipment dafür hat? Ganz einfach, man schnappt sich Schaltpläne, Einzelteile und einen Lötkolben, setzt sich hin und baut das ganze Zeug 'einfach' nach. Equalizer, Kompressoren, Mikrofone wie sie eben von den Beatles, dem Wu Tang Clan oder aber auch Johnny Cash verwendet wurden, entstanden auf diese Weise im Studio des Berliners.
Am besten sieht man das am Schluss von Glück. Diese Piccolotrompete als Hommage an Penny Lane der Beatles - ein Traum! Es musste ein passender Trompeter her, drei verschiedene Musiker mussten dieses Instrument einspielen bis der Rapper zufrieden war mit dem Klang.




Mein persönlicher Favorit, sofern es bei so einer Trackliste überhaupt möglich ist einen Favoriten zu benennen, ist allerdings das beklemmende Rost. Auf subtile Art und Weise beschreibt und kritisiert Prinz Pi, faszierend mit den Möglichkeiten seiner Sprache spielend, in diesem Werk die Hintergründe, Absurdität und Kurzlebigkeit einer Konsumgesellschaft.
Untermalt von einer reduzierten Klavierspur, ab und an untermalt von dreckigen Drums, zeichnet sich hier ein pessimistisches Bild ab, dem man einfach zuhören muss.
Ihr wolltet erst die Arbeit
dann wurd sie euch zu lang
die Gewerkschaft die doch für euch kämpfte war der Untergang
wenn die Flüge billig werden, freut euch das doch auch
der große rote Drache hustet für euch Flatscreens aus seinem Bauch

Faszinierendes Zusammenspiel von Texten und Musik findet sich auch bei Schwarze Wolke. Eines der fröhlichsten Depressionslieder. Insbesondere verglichen mit Tracks wie Der Druck steigt und Bevor ich aufschlage. Die vertonte manische Depression irgendwo zwischen schwerfälliger, pianolastiger Lebensmüdigkeit und fetziger, gitarrenbetonter Lebenslust. Die schwarze Wolke, inspiriert von Mario Kart, die dich klein macht, jeder kann einfach über dich drüber fahren. Kaum eine Metapher könnte passender für dieses beklemmende Gefühl sein.

Fazit


Mit diesem Album liefert Prinz Pi ohne Zweifel eines der musikalischsten Rapalbum der letzten Jahre ab. Viel Leidenschaft, Arbeit, Herzblut, lyrische Raffinesse und musikalische Kompetenz vereint auf einem Tonträger. Da vermisst man doch nur noch ein ganz kleines bisschen die alten Bunkertage, in denen ein verbitterter Prinz Porno voller Hass spittete: "Wer will Liebeslieder und wer will tighte Raps?"
Warum nicht beides? Beides und ein paar tolle Instrumentals! Da verzeiht man auch mal eine vertauschte Reihenfolge auf der CD.
Ich wär so gerne dumm
wäre so gerne dumm
Ich wünschte mir - ich würde mich zufrieden geben
mit einem Standardleben
einem Standardjob (Prinz Pi - Dumm)
Und wer soll uns dann solche Alben schenken? Na gut, Megaloh vielleicht. Auf jeden Fall ist die Konkurrenz für das beste Album dieses Jahr um eine LP gewachsen. Danke.

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